Vor einigen Jahren haben mein Mann und ich das Wandern für uns entdeckt. Also eher mein Mann Andy. Unsere zwei Kinder sind erwachsen und selbständig im Leben und seither haben wir mehr Zeit zur Verfügung. Wenn wir unterwegs sind, schauen unser Sohn und seine Freundin für das Gehöft. Dass sie bei uns wohnen, ist ein großer Vorteil. Ansonsten springt unsere Tochter mit Freund ein, was wir sehr schätzen.
Nach privaten und beruflichen Veränderungen haben wir auch mehr Freizeit und für uns Schweizer lag es nahe mit Wandern zu beginnen und unsere schöne Bergwelt zu entdecken. Also fingen wir mit kleineren Wanderungen an und wurden immer neugieriger auf längere Touren. Heute machen wir so oft es geht Touren über mehrere Tage hinweg und haben meistens ein Zelt, Schlafsäcke und einen Kocher dabei. Letzteres ist sehr wichtig, da Andy ziemlich viel Kaffee trinkt. Wenn er Lust auf einen Kaffee hat, legen wir eine Pause ein.
Die erste Idee einer Fernwanderung war, über die Alpen ins Tessin zu wandern. Dieser Gedanke liess uns nicht mehr los. Doch dann kam eine schwierige Zeit in unserem Leben, mit gesundheitlichen Problemen und familiären Sachen, die viel Zeit erforderten, aber gemacht werden mussten. Nach Abschluss all dieser Sachen dachten wir, dass es jetzt an der Zeit wäre für etwas Besonderes. Mal wieder einen Neustart, den Kopf durchlüften. Sozusagen eine Belohnung.
Nach längerer, intensiver Internetsuche stiess ich auf den Pacific Crest Trail (PCT), der von der mexikanischen Grenze bis zur kanadischen Grenze geht, 4280 km oder 2650 Meilen, also ca. 5 bis 6 Monate wandern mit Zelt. Als Belohnung? Bevor ich den Vorschlag Andy unterbreitete, musste mich noch vergewissern, ob das wirklich eine gute Idee war. Auf unserem Gehöft vermieten wir einige Pferdeboxen, deshalb sind immer Menschen auf unserem Grundstück. Also einfach mal aus dem Fenster schauen, den Vernünftigsten aussuchen und ihn fragen. Zum Glück war genau so jemand da. Mit einem Bier ging ich zu ihm auf einen Schwatz und erzählte ihm von meiner Idee.
Er dachte sich, die zwei machen das sowieso nicht. Zu alt, zu weit und überhaupt vergessen die das sowieso wieder. Seine Antwort aber war: «Finde ich eine super Idee.» Diese Antwort hatte ich echt nicht erwartet. Vielleicht sollte ich das nächste Mal das Bier sein lassen.
Am Abend schlug ich also den PCT mal so beiläufig meinem Mann vor, ohne Bier diesmal. Nach doch etwas längerem Nachdenken und einigem Stöbern im Internet, fand er es eine recht gute Idee. Wir schauten uns dann einige Filme über den PCT auf YouTube an. Da kam uns ein junger Mann bekannt vor. Sein Name war Rolf Waser, ein Nachbar von uns. Wir riefen ihn sofort an und er hatte auch Lust, vorbeizukommen und uns von seinem Erlebnis zu erzählen. Danach waren wir definitiv überzeugt, die Landschaftsbilder waren einfach spektakulär!
Es blieb noch die Frage, ob es für uns von der Fitness her überhaupt möglich ist. Rolf ist etwa so alt wie unser Sohn und optisch fit wie ein Turnschuh. Wir waren nicht sicher, wie gut bei uns Kondition und Ausdauer waren. Das gemütliche Essen hat auch seine Spuren hinterlassen. Aber probieren geht über studieren.
So fingen wir mit längeren und intensiveren Wanderungen an und schauten darauf, dass wir möglichst viele Höhenmeter an einem Tag schafften. In der Regel aber hatten wir nach jeder Wanderung starken Muskelkater. Wir forderten uns sehr, aber gaben nicht auf.
Der PCT ist ein Höhenweg und führt über die High Sierra. Auf dem höchsten Punkt, dem Forester Pass auf 4017 m.ü.M, wird es sicher auch Schnee haben. Unser Plan war auch den Mount Whitney, mit 4420 m der höchste Berg in den USA (ohne Alaska), zu besteigen. Die meisten Hiker, die den John Muir-Trail machen, steigen auf den Mount Whitney.
Dann unternahmen wir geführte Touren mit einem Bergführer und einen Einsteigerkurs ins Klettern und das Verhalten im Schnee. Der Kurs dauerte 4 Tage und war mit einem Profi am Berg eine super Erfahrung für uns. Weil wir ihn nur für uns zwei hatten, konnten wir ihn richtig mit Fragen löchern. Wir lernten die Handhabung von Seil, Pickel und Steigeisen und recht interessant war auch die Routenfindung mittels GPS. Dies wird uns eine gewisse Sicherheit auf dem Weg geben.
Da wir beide in einem festen Arbeitsverhältnis angestellt sind, mussten wir erst abklären, ob und wie wir einen 6-monatigen Urlaub bekommen. Andy arbeitete im Saunabau in den Monaten Oktober bis März 100% bei 50% Lohn über das ganze Jahr, ich arbeitete 60 %. Beide hatten wir viel Überzeit angehäuft, das war unser Pluspunkt zum Verhandeln. Durch den Bezug meiner Überzeit, ergaben sich statt sechs Monate unbezahlt, nur vier Monate.
Wir hatten ein riesiges Glück, dass beide Arbeitgeber einverstanden waren, die längere Auszeit bei ungekündigtem Arbeitsverhältnis zu bewilligen. Dadurch hatten wir die Gewissheit nach dem Urlaub wieder angestellt zu sein. Mit Andys 50%-Lohnzahlungen und den Mieteinnahmen konnten wir den PCT für uns finanzieren. Da wir unsere laufenden Fixkosten möglichst klein halten – mit unserem Garten und Obstbäumen sind wir fast Selbstversorger – ist dies möglich.
Also ging es richtig zur Planung, wir mussten auch unsere Ausrüstung optimieren. Für uns lag aber auch der Reiz darin, mit möglichst wenig Geld, Kleidern und Ausrüstung auszukommen. Wir rechneten für unterwegs mit etwa CHF 1000.- im Monat pro Person. Das Essen auf dem Trail wird nicht teuer, dafür waren bei der Ausrüstung die Anschaffungskosten erheblich, insgesamt kamen wir auf ca. CHF 6000.-. Wir besorgten uns bessere, leichtere Schlafsäcke und ein 4-Saison-Zelt, Matten mit isolierender Alufolie, je ein Paar gute Trail-Schuhe etc. Bächli Sport und Transa haben uns gut beraten. Gutes und leichtes Material ist recht kostspielig, aber es lohnt sich. Das Gewicht war für uns der wichtigste Punkt, es ist wahrscheinlich Match entscheidend für das Bewältigen des langen Trails. Man trägt es immer mit sich herum, ein halbes Jahr lang. Beim Loslaufen wird der Rucksack allein durch all das Essen und das Wasser schwer sein.
Für die Anmeldung im Internet mussten wir uns am 13. Februar 2017 um genau 10:30 Uhr kalifornischer Ortszeit auf der Internetseite vom PCT einloggen und den Tag auswählen, an dem wir starten möchten. Der Run ist gross und wir zwei wollten zusammen starten. Deshalb hat uns Sven, ein Bekannter, mit zwei Laptops zeitgleich angemeldet. Es hat super geklappt: Wir besassen jetzt zwei Startplätze am 4. April 2017 beim Southern Terminus in Campo, California.
Sven durften wir auch alle wichtigen Daten und Unterlagen wie Passkopien, Visa, Bankkarten, Bewilligungen und so angeben. Sollte etwas schief gehen, haben wir jemanden, der englisch spricht und uns helfen kann, allfällige Probleme zu lösen. Danke dir Sven!
Kurz darauf beantragten wir das B-2-Visum und buchten den Flug nach San Diego und ein Hotel für die ersten Tage. Ab dann war unsere Vorfreude durch ein untrügliches Grinsen im Gesicht nicht mehr zu übersehen.